HRV – Grundlage
Was ist Herzfrequenzvariabilität (HRV)?
Die Umsetzung körpereigener Schwingungen in Musik geschieht auf der Grundlage einer Analyse der Herzfrequenzvariabilität (HRV). Die Herzfrequenzvariabilität ist eine in der wissenschaftlichen Medizin seit vielen Jahren etablierte Analysemethode und beschreibt die Veränderlichkeit der Herzfrequenz. Diese wird durch die rhythmisch wechselnde Aktivität des parasympathischen und sympathischen Anteil des autonomen Nervensystems (ANS) reguliert. Die HRV wird heutzutage als ein Globalindikator für die Regulationsfähigkeit des Menschen gesehen.
Das Herz gesunder Menschen schlägt – im Gegensatz zu der allgemeinen Annahme – in Bezug auf den Abstand zwischen den einzelnen Schlägen nicht exakt regelmäßig, sondern dezent unregelmäßig (siehe Grafik). Das Herz zeigt von Schlag zu Schlag Variationen. Dies ist sinnvoll, da der Organismus und damit auch das Herz unter ständigem Einfluss externer und interner Reize stehen. So führt zum Beispiel eine Stresssituation, ausgelöst durch körperliche und/oder psychische Belastungen, zu einer Anpassungsreaktion des Herzens und zeigt sich u.a. in einer Abnahme der Variationsbreite der Herzfrequenz von Schlag zu Schlag, wohingegen die Variationsbreite unter Ruhe zunimmt. Die Variationsbreite der Herzfrequenz von Schlag zu Schlag ist die so genannte Herzfrequenzvariabilität oder Herzratenvariabilität (HRV).
Die HRV resultiert aus dem Einfluss auf den Sinusknoten als Taktgeber” des Herzens unter anderem durch das Zusammenspiel von Sympathikus und Parasympathikus. Der Parasympathikus (Vagus) übernimmt dabei eine vorwiegend hemmende Wirkung (hier: Abnahme der Herzfrequenz), während der Sympathikus eine aktivierende Funktion hat (hier: Zunahme der Herzfrequenz). Sympathikus und Parasympathikus bilden das autonome Nervensystem, welches sowohl durch zentrale Mechanismen (Gehirn), wie auch durch eine Rückkopplung aus der Peripherie (Organe) beeinflusst wird. Dadurch werden über die Messung der HRV sowohl Aussagen über zentrale Steuerungsmechanismen (Gehirn), als auch über die Organ-Situation gewonnen.
Parasympatikus
Der Parasympatikus generell für Erholungsreaktionen, Energiespeicherung, Verdauung sowie Schlaf und Aufbau (trophotrope Wirkung) zuständig. Er senkt den Blutdruck und verringert den Puls (bradykarde Wirkung).
Der Hauptspieler des Parasympathikus ist der Vagus, der zehnte Nerv vom Hirnstamm, manchmal auch als Fächernerv beschrieben. Durch das Einatmen wird seine Funktion gemindert und beim Ausatmen, (nach dem Motto „lass mal Dampf ab“) kann sich der Vagus entfalten.
“Learn how to exhale, the inhale will take care of itself.”
Sympathikus
Die Hauptfunktionen des Sympatikus ist vor allem aktive Vorgänge zu steuern, man spricht häufig von den sogenannten „fight and flight“ Mechanismen. Er ist zuständig für die Energiebereitstellung, Energieentladung, abbauende Stoffwechselprozesse (ergotrope Wirkung), die Atmung, sowie die Beschleunigung des Herzschlages (tachykarde Wirkung) und Erhöhung des Blutdrucks. Der Sympathikus versetzt den Organismus in eine erhöhte Handlungsbereitschaft, er steigert den Blutglukosespiegel, um rasch eine verfügbare Energiequelle sicherzustellen. Des Weiteren steigert er das Aufmerksamkeitslevel bzw. die Konzentrationsfähigkeit des Menschen.
ANS
Das autonome (unwillkürliche System), auch vegetatives Nervensystem genannt, umfasst jenen Teil unseres Nervensystems, der für die Aufrechterhaltung der unwillkürlich ablaufenden lebensnotwendigen Vorgänge zuständig ist, wie zum Beispiel Tätigkeiten von Herz, Lunge, Magen, Darm, Harnblase und Blutgefäßen. Das autonome Nervensystem hat des Weiteren die Aufgabe, das Verhalten des menschlichen Körpers so zu regulieren, dass Aktivität und Entspannung im Gleichgewicht bleiben. Dies wird durch das antagonistische Zusammenspiel von Parasympathikus und Sympathikus erreicht.
Zusammengefasst bedeutet das, je höher die HRV ist, desto schneller und flexibler passt sich das Herz den internen und externen Einflüssen an, und desto besser ist die Reaktion des Organismus auf die Umwelt. Angestrebt wird demnach ein optimales Zusammenspiel von Parasympathikus und Sympathikus als Ausdruck einer optimalen Adaptationsfähigkeit des Organismus. Eine geringe HRV zeigt hingegen ein eingeschränktes Anpassungsvermögen des Organismus an und deutet möglicherweise auf gravierende gesundheitliche Einschränkungen hin, wie beispielsweise Erkrankungen des Herz-Kreislauf-Systems, psychische Erkrankungen, Neuropathien und Krebs. Vergleichbar ist die HRV mit dem Parameter Fieber: Verschiedene Erkrankungen können sowohl durch Fieber, wie auch durch eine Reduktion der HRV angezeigt werden, wobei eine Vielzahl von Ursachen für die Veränderungen beider Parameter verantwortlich sein können.
Wo und seit wann wird die HRV-Analyse bislang eingesetzt?
Über einen Zusammenhang zwischen dem Gesundheitszustand und der Variationsbreite der Herzfrequenz wurde schon im 3. Jahrhundert nach Christus durch den chinesischen Arzt Wang Shuhe berichtet. Er analysierte verschiedene Pulstypen und prognostizierte: “Wenn der Herzschlag so regelmäßig wie das Klopfen des Spechts oder das Tröpfeln des Regens auf dem Dach wird, wird der Patient innerhalb von vier Tagen sterben.
In der modernen Medizin wurde die HRV-Analyse Anfang der 60-iger Jahre zunächst in der Geburtshilfe eingesetzt, um mögliche hypoxische Zustände des Fötus rechtzeitig zu diagnostizieren Seit Ende der 80-iger Jahre hat die HRV-Messung in der Diagnose und Prognose verschiedener Erkrankungen zunehmend an Bedeutung gewonnen.
Früherkennung und Prognose
Innerhalb der Intensivmedizin wird die HRV-Messung zur Früherkennung möglicher Komplikationen – wie zum Beispiel der Sepsis (generalisierter, lebensgefährlicher Entzündungszustand des gesamten Körpers) – sowie als Prognosefaktor nach Erkrankung eingesetzt . Einen Zusammenhang zwischen verschiedenen subklinischen (noch nicht voll ausgebrochenen) Entzündungserkrankungen und einer reduzierten HRV konnte bei sonst herzgesunden Personen nachgewiesen werden. Es ließ sich ein starker negativer Zusammenhang zwischen der Höhe der HRV und der Leukozytenanzahl im Blut nachweisen. Dies ist insofern interessant, da vermutet wird, dass länger andauernde entzündliche Prozesse im Körper die Entstehung von Herzerkrankungen begünstigen. Es besteht daher ein großes Interesse daran, schon im Vorwege Parameter messen zu können, die entzündliche Veränderungen im Körper anzeigen, um frühzeitig sinnvolle präventive oder therapeutische Maßnahmen einleiten zu können. Hier kann durch die Messung der HRV eine wertvolle Information gewonnen werden. Darüber hinaus konnte ebenso bei Hochrisikopatienten einer Herz-Kreislauf-Erkrankung neben anderen Entzündungsmarkern (Anstieg von Interleukin-6, CRP) eine verringerte HRV festgestellt werden.
Auch nach dem Auftreten einer Herzerkrankung liefert die Messung der HRV wertvolle Hinweise. Während der Rehabilitation von Herz-Kreislauf-Patienten zeigte sich zum Beispiel bei Postinfarkt-Patienten ein deutlich erhöhtes Mortalitätsrisiko bei Vorliegen einer eingeschränkter HRV im Vergleich zu Patienten mit normaler HRV. Eine Risikostratifizierung scheint somit für das Auftreten eines Reinfarktes anhand der HRV-Analyse möglich zu sein. Ebenfalls konnte ein positiver Zusammenhang in Bezug auf den plötzlichen Herztod nachgewiesen werden.
Diagnose
Des Weiteren wird die HRV zur Diagnostik der diabetischen Neuropathie genutzt. Eine reduzierte HRV gilt als ein erstes Anzeichen einer kardiovaskulären autonomen diabetischen Neuropathie. Bei Patienten mit Depressionen ließ sich neben einer erhöhten Herzfrequenz eine verminderte HRV nachweisen. Es scheint also, dass eine Depression mit einer Störung der Herzfunktion einhergeht. Hierfür spricht auch, dass das Morbiditätsrisiko bezüglich einer Herz-Kreislauf-Erkrankung bei Depressiven im Vergleich zu Normalpersonen deutlich erhöht ist. Ebenso weisen Herzkranke bei zusätzlicher depressiver Erkrankung ein erhöhtes Sterberisiko auf, bei psychotherapeutischer Betreuung ließ sich hingegen eine deutliche Erhöhung der HRV feststellen . Innerhalb der Therapie könnte die HRV-Analyse demnach als biologischer Indikator zur Diagnosestellung, Therapieauswahl und Therapiekontrolle eingesetzt werden. Seit einigen Jahren finden sich verstärkte Forschungsaktivitäten bezüglich der HRV im Bereich der Sportmedizin. Ein Schwerpunkt liegt dabei auf der Klärung des Einflusses körperlicher Aktivität auf die HRV in Ruhe und unter Belastung. Hier wird die HRV-Analyse derzeit zur Feststellung eines möglichen Übertrainingszustands herangezogen.
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